Eins mit dem Fels: Der 5-Gipfel-Klettersteig im Rofan-Gebirge

Am Berg gibt es drei Schlüsselmomente: Der Moment, in dem man den Abgrund unter sich betrachtet und sich fragt: Was zum Teufel mache ich hier gerade? Der Moment, an dem man so kaputt ist, dass man glaubt, das Ziel niemals zu erreichen. Wenn jede Faser des Körpers schmerzt und man vor Blasen kaum noch die Füße heben kann. Und dann wäre da der Moment, an dem man schließlich auf dem Gipfel steht und man vor Glück die ganze Welt umarmen könnte. Ein Moment, der alle Strapazen vergessen lässt und einem sagt, warum man das ganze gerade macht.

Fünf Gipfel, fünf Klettersteige, fünf Abenteuer

Gespannt betrete ich den Parkplatz an der Talstation der Rofanseilbahn. Hier bin ich mit meinem Guide Mike verabredet, der mich auf meinem ersten richtigen Klettersteig begleiten wird. Als er mich sieht winkt er mir zu. Ohne viel Zeit zu verlieren machen wir uns auf dem Weg in die Seilbahn. Etwas müde beobachte ich den Aachensee, der unter mir immer kleiner und kleiner wird während die Gipfel des Rofangebirges immer näher kommen. Doch beim Bergsteigen gilt: Der frühe Vogel erklimmt dem Gipfel – und das an diesem Tag besonders: es ist ein Gewitter gemeldet und das schon in den frühen Nachmittagsstunden.

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Der frühe Vogel erklimmt den Gipfel

Eine Stunde früher als geplant kommen wir an der Bergstation an und machen uns sogleich an den Zustieg. Unser Ziel ist der 5-Gipfel-Klettersteig im Rofangebirge. Beziehungsweise zunächst einmal einer der fünf Gipfel. Denn das tolle an diesem Steig ist, dass alle Gipfel individuell nach Kondition, Lust und Können kombiniert werden können. Nach jedem einzelnen ist es möglich, den Rückweg anzutreten. Klettersteigprofis können auch die gesamte zwei Kilometer lange Kletterpartie gehen, bei der eine reine Gehzeit von 6-8 Stunden eingeplant werden muss.

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Gipfel #1: Der Rosskopf (2.246 m)

Als ersten Gipfel hat Mike den Rosskopf ausgesucht. Schon als wir die Hochebene erreichen, sehen wir den Gipfel majestätisch wie ein Pferdekopf aus der Ebene ragen. Mike erklärt mir, dass man den Gipfel nur über den Klettersteig und über keinen normalen Wanderweg erreichen kann. So werden wir den Gipfel nur mit einigen Kletterern teilen müssen.

Vielleicht hätte ich am Morgen beim Frühstück nicht so sehr zuschlagen sollen. Denn schon der Zustieg ist schweißtreibend und Mike legt ein ordentliches Tempo vor.  Ich vermute zunächst, dass er damit meine Fitness testen wollte, aber wahrscheinlich beeilt er sich nur, damit wir möglichst vor dem Gewitter zurück auf der Hütte sind. Der Zustieg ist mit 1,5 Stunden angegeben – wir machen ihn in Einer.

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Als ich eigentlich schon die erste Pause nötig habe, geht es erst richtig los. Etwas abseits vom Einstieg legen wir die Ausrüstung an und setzten die Helme auf den Kopf. Es ist nicht der erste Klettersteig, den ich in meinem Leben gehen werde, wohl aber der erste mit kompletter Ausrüstung und dementsprechend einem höheren Schwierigkeitsgrad.

Dann stehe ich auch schon vor der Wand, die senkrecht über meinem Kopf in die Höhe ragt und klicke zum ersten Mal die zwei Karabiner in das Seil ein. Ab jetzt gibt es nur noch mich und den Berg. Wie ich es schon als Kind gelernt habe, suche ich abwechselnd für jeden Fuß und jede Hand den richtigen Platz, bevor ich die anderen folgen lasse.

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Und dann steigt die Angst in mir hoch

Schnell gewinnen wir an Höhe. Doch schon die ersten Meter kosten mich viel Kraft. Und plötzlich ist da kein Tritt mehr. Kein Felsvorsprung scheint in Reichweite, an dem mein rechter Fuß halt finden könnte. Verzweifelt probiere ich Halt zu finden und rutsche immer wieder weg. Verzweiflung kommt in mir hoch. Der Boden unter mir verschwimmt und scheint unendlich weit weg. „Zieh dich hoch“, ruft mir Mike zu, der schon ein paar Felsvorsprünge über mir auf mich wartet. Ich nehme alle Kraft zusammen, setze den Fuß auf einen schmalen Spalt und ziehe mich nur mit der Kraft meiner Arme (Hust!) auf den nächsten stabilen Halt hinauf.

Dann geht das ganze wieder von vorne los. Ich frage mich unweigerlich, wie viele solcher Schritte meine Armmuskeln wohl noch aushalten können. Und langsam steigt die Angst in mir hoch. Natürlich weiß ich, dass die Angst eigentlich unbegründet ist. Natürlich weiß ich, dass ich jederzeit wieder absteigen kann und natürlich ist da auch noch Mike, der mir mit Rat und Tat zur Seite steht. Doch Angst ist manchmal nicht rational. Sie lähmt. Sie blockiert. Sie macht dich unsicher. Alles Dinge, die man so mitten in der Wand nicht gebrauchen kann.

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Immer Schritt für Schritt

Ich versuche mich zu beruhigen und nur an den nächsten Schritt zu denken. Das ist DIE Bergsteigerregel Nummer 1. Und ich hatte sie nicht beherzigt. Nach zwei weiteren Schritten komme ich neben Mike an. Was eigentlich nur ein paar Minuten dauerte, kam mir vor wie eine Ewigkeit. Mike hat wohl meinen Anflug von Unsicherheit bemerkt, denn ehe ich mich versehe, habe ich eine zusätzliche Seilsicherung in meinem Klettergurt hängen.

Irgendetwas verrät mir, dass es sich beim Rosskopf wohl nicht um den einfachsten der fünf Gipfel handeln kann. Zumindest hoffe ich das in Anbetracht meiner Anstrengung, die mich seine Bezwingung kostet. Ich erkundige mich bei Mike, welcher mir bestätigt, dass der Gipfel einer der schwereren ist. Hinterher erfahre ich, dass er mit Schwierigkeitsgraden bis C/D der schwerste der Route ist. Gut, dass ich da zu dem Zeitpunkt weder weiß noch wissen möchte.

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Das gespannte Seil vermittelt mir das Gefühl von Sicherheit obwohl mir das ganze eigentlich nur peinlich ist. Aber schnell gewinne ich meine gewohnte Form zurück und werde eins mit dem Fels. Tritt um Tritt, Griff um Griff klettere ich weiter senkrecht nach oben. Als wir einen schmalen Grad erreichen versichert mir Mike, dass nun das schwerste Stück geschafft ist. Zum ersten Mal seit dem Einstieg, werfe ich einen Blick auf die faszinierende Aussicht auf die umliegende Bergwelt, die uns zu Füßen liegt. Gegen den ersten Anstieg ist der Gradweg geradezu erholsam.

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Der Gipfelmoment

Und dann kommt auch schon das Gipfelkreuz in Sicht. Noch eine kurze Kletterpartie, dann ist es geschafft und ich lehne meine Schulter stolz an das hölzerne Gipfelkreuz. Wir haben es ganz für uns alleine – außer einem Pärchen sind wir bisher keinen anderen Kletterern begegnet. Unendlich glücklich genieße ich das Gefühl des ersten bezwungenen Klettersteigs. Ein Blick an mir herab verrät mir, dass ich ihn nicht ohne Blessuren überstanden habe. Meine Knie sind aufgeschürft und an meinen Händen bilden sich die ersten Blasen. Wieso hatte ich es auch vergessen, ein paar Handschuhe mitzunehmen. Vor lauter Euphorie spüre ich davon jedoch garnichts.

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Dann ist der magische Moment auch schon wieder vorbei und wir beginnen mit dem Abstieg, der ebenfalls über einen Klettersteig führt. Dieser ist jedoch weitaus weniger anspruchsvoll als der Aufstieg und ich beginne das monotone Ein- und Ausklicken zu genießen. Uns begleitet die grandiose Aussicht bis wir schließlich die Scharte und damit das Ende des Steiges erreichen. Wir lassen uns für ein paar Augenblicke ins warme Gras plumpsen und besprechen das weitere Vorgehen. Auf dem strahlend blauen Himmel haben sich inzwischen ein paar Wolken gebildet. Die ersten Gewittervorboten?

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Gipfel #2: Die Haidachstellwand

In Anbetracht meiner Hände entscheiden wir uns für die Haidachstellwand als zweiten Gipfel. Diese gilt auch als Einsteigertour der 5-Gipfel und lässt sich leicht auch ohne große Armkraft bezwingen. Etwas sehnsüchtig blicke ich auf die ausgesetzten Gipfel der Seekarlspitze, des Hochrisses und des Spießjochs, gegen die wir uns damit entschieden haben. Aber alleine der Gedanke daran mich mit den Blasen an den Fingern über 30 Meter am Seil hochzuziehen lässt mich schaudern.

Erst als wir weiter gehen merke ich, dass sich auch meine Beine ein bisschen wackelig anfühlen. Schweren Herzens muss ich akzeptieren, dass der Geist in diesem Fall auf den Körper Rücksicht nehmen muss und folge Mike auf schmalen Pfaden direkt auf die Haidachstellwand zu.

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Der Himmel zieht sich inzwischen immer mehr zu. Als wir den Einstieg zum ersten Abschnitt des Gipfels erreichen ziehen dunkle Wolken über uns hinweg. Mike beschließt den ersten Teil des Steiges zu umgehen und erst weiter oben in den Klettersteig einzusteigen. Schnellen Schrittes spurtet er die steile Wiese hinauf, die parallel zum Klettersteig führt. Eine gute Entscheidung – denn auf dem Klettersteig stauen sich die Bergsteiger. Man merkt, dass dieser als Einsteigertour gilt. Dann geht es auch für uns wieder ans Seil.

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Hinter einer Familie reihen wir uns in die Kletterer ein, als es plötzlich bedenklich zu grollen Anfängt. Ich merke Mike an, dass er zusehend nervöser wird. Schließlich überholen wir die Familie. Mike gibt dem Vater den Tipp in Anbetracht des nahenden Gewitters umzukeheren, aber dieser will nicht hören.

„Man muss wissen wenn es Zeit ist umzukehren“

Als wir schließlich das Ende des Steiges erreichen und ich das Gipfelkreuz im Kopf schon fast umarme, läutet Mike den Abstieg ein. Sehnsüchtig blicke ich zwischen Mike und dem Gipfelkreuz hin und her. Doch ich vertraue ihm. Wenn sich einer auskennt dann ja wohl er und nicht ich. Und aus zahlreichen Bergfilmen weiß ich, wie wichtig es für einen Bergsteiger ist, die eigenen Grenzen zu kennen und zu wissen, wann es Zeit ist umzukehren. Schließlich möchte ich bei Gewitter auch nicht an einem Drahtseil hängen.

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Wettlauf mit dem Gewitter

Den Rückweg zur Hütte legen wir mehr laufend als gehend zurück. Der Donner sitzt uns im Nacken und es kann jederzeit losregnen. Mike rennt vor und treibt mich immer wieder an. Ein paar Mal stolpere ich über Wurzeln auf dem Weg. Der schnelle Schritt verlangt meiner Konzentration alles ab und ich würde fast behaupten, dass der Rückweg der anstrengendste Teil der ganzen Tour gewesen ist.

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Auf die Minute kommen wir schließlich nach einer halben Stunde Sprint zeitgleich mit dem Gewitter an der Hütte an. Nachdem ich Mike während des Weges hätte verfluchen können („Was kümmert mich denn ein bisschen Regen!“) bin ich ihm jetzt umso dankbarer. Denn „das bisschen Regen“ entpuppt sich als mehrere Stunden anhaltender Platzregen, vor dem wir schließlich nicht mal mehr auf der Terrasse der Hütte Schutz finden sollten.

Abenteuer trifft Genuss

Während der Regen auf das Dach prasselt genehmigen wir uns erst einmal ein ordentliches Bergsteigermittag. Ich entscheide mich für Spinatknödel. Mein Picknick liegt noch unangetastet im Rucksack. Dafür war einfach keine Zeit. Erst während des Essens merke ich wie hungrig ich bin. Und kaputt. Denn ich kann kaum ein Wort zur Unterhaltung beitragen, die an unserem Tisch rege im Gange ist. Man unterhält sich über die Berge und das Leben. Ich bin einfach nur glücklich im Trockenen zu sitzen und meine ersten zwei eineinhalb Klettersteige bezwungen zu haben.

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Als nach zwei Stunden der Regen nachlässt und auch die Seilbahn ihren Betrieb wieder aufnimmt, segeln wir weniger sanft aber sicher ins Tal herab. Durch die dichte Wolkendecke kann ich erahnen, wie der Achensee immer größer und größer wird. Und ärgere mich schwarz, dass ich von dem grandiosen Blick bei der Bergfahrt nicht mehr Schnappschüsse gemacht habe. Im selben Zug beschließe ich noch einmal wieder zukommen um nicht nur die Fotos sondern auch die drei(einhalb) fehlenden Gipfel nachzuholen. Vorher muss ich aber wohl nochmal in die Kletterhalle oder wenigstens regelmäßiger ins Fitnessstudio. Und die Handschuhe werde ich wohl nie wieder vergessen. Tja, ich schätze bis zum „Via Ferrata Girl“ ist noch ein weiter Weg…

Mehr Infos zum 5-Gipfel-Klettersteig im Rofan-Gebirge findest du hier: Kletterführer Achensee

Klettersteig – ist das was für dich? Wenn ja, welches war dein erster und/oder ist dein liebster Klettersteig? Verrate es mir doch in den Kommentaren!

Vielen Dank an Tirol Werbung und Achensee Tourismus für die Unterstützung meiner Reise und natürlich besonders an Mike für die tolle Tour!

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7 Comments

  1. says: Jessi

    Wahnsinn, dass es die Klettersteige geschafft haben, dich sprachlos zu machen! ;-)

    Ich bin ja schon vom Lesen fix und fertig. Mit meiner Kondition und meinen nicht vorhandenen Armmuskeln würde ich das nicht schaffen. Respekt!!!

    Liebe Grüße
    Jessi

  2. says: Manuela

    Wie du da noch Bilder machen kannst, faszinierend. Ich habe ein Bild vom Einsteig und zwei oben am Gipfel.
    Irgendwelche verwackelten Aufnahmen. Echt Respekt wie gut du das gemeistert hast. Ich habe manchmal noch Alpträume. Das nächste Mal def. nur die Haidachstellwand. In der Hoffnung das dieser Fels nicht so bröselig ist wie der Rosskopf.

    1. says: Jana

      Viel mehr Bilder hatte ich allerdings auch nicht, außer ein paar verwackelte ;-) Ich möchte beim nächsten Mal gerne die drei anderen Gipfel machen!

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  4. says: Nadine

    Hallo zusammen,
    vielen Dank für den tollen Beitrag. Und die Bilder- Wie aus dem Bilderbuch!
    Mein Freund und ich wollen mehr von Österreich sehen, genauer: Urlaub in den Bergen. Daher planen wir gerade unsere nächste Reise. Wo geht es bei dir als nächstes hin?

    Grüße
    Nadine

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