Die Sonne lacht. Unter meinen Augen verraten dicke Augenringe die Kürze der Nacht. Das passiert eben, wenn man so zentral wohnt und das Apartment direkt über eine 24/7 Bierbörse untergebracht ist. Als um sieben Uhr morgens die Party unter mein Fenster zu Ende geht und die Sonnenstrahlen über den Giebelspitzen der Häuser meine Nasenspitze erreichen, hält mich trotz Schlafmangel nichts mehr im Bett. Jetzt ist es ruhig – aber ich will raus, will den Puls dieser wundervollen Stadt spüren. Der eisige Wind bläst nun das letzte bisschen Müdigkeit weg.
Viel hatte ich bereits von der Hansestadt gehört und nun befinde ich mich schon mitten drin in der verkehrsberuhigten Altstadt, in die man ohne eine spezielle Plakette mit dem Auto gar nicht hineinfahren kann. Und auch wenn man stolzer Besitzer einer solchen ist, ist dank Fußgängerzonen und Einbahnstraßengewirrr nicht leicht, auch tatsächlich an seinen Zielort zu gelangen. Gut also, dass wir unser Auto einfach stehenlassen können und uns zu Fuß auf den Weg machen können. Danzigs Stadtzentrum ist nicht groß – alles Sehenswerte lässt sich ganz bequem per Pedes erreichen.
Główne Miasto – die Rechtstadt
Das Herzstück der Altstadt ist der Długi Targ, der lange Markt. In den kunstvoll verzierten, bunten Giebelhäusern, wo einst reichte Kaufleute ihr zu Hause hatten, betten zur Zeit unser Haupt. Ob die Kaufleute wohl auch schon unter der Bierbörse zu leiden hatten? Fakt ist wohl, trubelig ging es hier wohl schon immer zu. Selbst im Winter spielen hier Straßenmusikanten und die Restaurants buhlen um die – noch spärlich besehte – Kundschaft. Ruhig ist es hier quasi nie. Um 7 Uhr morgens wechseln sich Bierbörsenbesucher fliegend mit den Berufstätigen ab, die einen gehen zur Arbeit und die anderen finden ihren Weg ins Bett. Wie mag es hier erst mal aussehen, wenn die Temperaturen die 20 Grad Marke durchbrechen?
Mittelpunkt des Platzes ist das Rechtstädtische Rathaus, ein roter Backsteinbau aus dem 14 Jahrhundert, dessen charakteristischer hoher Turm weit über die umliegenden Giebelhäuser ragt. Es ist Dienstag. Warum ich das erwähne? Weil man jeden Dienstag sämtliche Museen der Stadt kostenlos besichtigen kann. So auch das Rathaus, in dessen Inneren der prunkvolle rote Saal und das historische Museum im Obergeschoss befindet. Und sein wir mal ehrlich: bei Minusgraden ist man um jede Minute im Warmen dankbar.
Blickfang vor dem Rathaus ist der Neptunbrunnen, der Fontanna Neptun. Der Meeresgott muss im Winter leider ohne sein Element auskommen. Rechts hinter dem Brunnen wartet schon das nächste Highlight auf uns, nämlich der Arthushof. Hier trafen sich einst die Kaufleute der Stadt um Geschäfte abzuschließen oder einfach nur rauschende Feste zu feiern. Im Inneren ist das Gebäude noch prunkvoller als man es von außen erwartet hätte. Der 450 Quadratmeter große Saal mit einer prächtigen Sternendecke von der kunstvolle Schiffsmodelle baumeln. Wärme spendete einst ein 12 Meter hoher und von goldenen Kacheln verzierter Renaissanceofen, der heute das Herzstück des Raumes darstellt. Auch hier hat man dienstags freien Zutritt.
Ich glaube man könnte sich einen ganzen Tag nur auf dem Platz aufhalten und würde immer wieder etwas neues entdecken: sei es eine Figur auf einem der Giebelhäuser oder eine Verzierung oder ein besonders schönes Fenster. Der Lange Markt ist so ziemlich der prunkvollste Marktplatz, den ich je irgendwo gesehen habe. Ich bin immer noch fasziniert von der architektonischen Einheit, die wir nur den guten Restauratoren nach dem 2. Weltkrieg zu verdanken haben. Und so kommt es, dass ehemalige Danziger bei ihrer Rückkehr in die Stadt das Gefühl haben, nie weg gewesen zu sein. Unsereins fühlt sich zwischen all den historischen Gebäuden wie in einer Kulisse eines Historienfilms oder in einem riesigen Freilichtmuseum. Man wartet quasi nur darauf, dass die Marktfrauen mit weißen Kopftüchern und ihren Eselskarren um die Ecke biegen.
Durch das Grüne Tor verlassen wir nun den Marktplatz. Das ehemals grün gestrichene Tor kommt heute in rotem Backstein daher – der Name ist geblieben. Das Tor trennt den langen Markt von dem Mottlauufer ab. Der Fluss ist ein Nebenfluss der Weichsel. Eine Brücke trennt die Altstadt von der Speicherstadt. Über diese konnten einst die Waren mit Ochsenkarren zum Marktplatz gekarrt werden. Auch wenn man es sich heute kaum vorstellen kann: Danzig war zeitweise der wichtigste Ostseehafen und einer der reichsten Städte Europas. Na irgendwie kann man sich das bei all den prunkvollen Häusern doch ganz gut vorstellen.
Von der Brücke aus hat man einen tollen Blick auf die Promenade und Anlegestelle, die sich vom grünen Tor bis zum Wahrzeichen der Stadt erstreckt, dem Krantor. Dieses Tor war zur Zeit seiner Fertigstellung 1444 der größte Hafenkran der Welt.
Wir biegen aber zunächst ein Tor zuvor durch das Frauentor in die Frauengasse (Ul. Mariacka) ein. Diese auf den ersten Blick eher unscheinbar und irgendwie düster wirkende Straße, ist dennoch einer der schönsten Danzigs. In den Kellern der Bürgerhäuser nämlich sind Cafés und Kunsthandwerksläden untergebracht.
Die meisten Läden bieten Bernstein in allen Formen und Farbnuancen an. Ob als Figuren, Ketten, Ohringe oder Pillendosen – das sogenannte „Gold der Ostsee“ ist hier allgegenwärtig. Dabei sind die Häuserschluchten so eng, dass es die Sonne im Winter kaum schafft, die enge Gasse mit Licht zu durchfluten. Aber vielleicht macht es auch gerade dieses etwas düstere Ambiente aus, dass man sich fühlt als sein man per Zeitmaschine direkt ins Mittelalter katapultiert worden.
Lichtblick „am Ende des Tunnels“ ist die prächtige Marienkirche, die ein weiteres Highlight der Danziger Altstadt darstellt. Der gigantische Backsteinbau bietet 25.000 Menschen Platz und zählt damit zu den größten Kirchen Europas. Der Bau des gigantischen Gebäudes zog sich von 1343 bis 1502 hin.
So wuchtig sie auch von Außen aussehen mag, so filigran ist ihr Inneres. Weiß getünchte Wände und Säulen sowie große Fenster lassen das hohe Gewölbe hell und freundlich erscheinen. Das berühmte Gemälde „Das jüngste Gericht“ von Hans Memling ist jedoch nur eine Replika. Das Original kann man im Nationalmuseum, etwas außerhalb des Zentrums bewundern.
Zurück auf der Promenade geht es weiter zum alten Fischmarkt. Hier stand ehemals die Deuschordensburg, welche jedoch im 15. Jahrhundert bei einem Aufstand der Danziger Bürger in Schutt und Asche gelegt wurde. Auch von dem neuen Befestigungswall aus dem 16. Jahrhundert ist heute nur noch der sogenannte Schwanenturm übrig geblieben.
Hier wenden wir uns von der Mottlauufer ab und laufen in Richtung der Altstadt. Altstadt? Ja richtig gehört. Was ich immer so salopp als Altstadt bezeichnet habe, ist formell gesehen die sogenannte „Rechtstadt“ oder auch Główne Miasto . Als „Altstadt“ oder Stare Miasto dagegen bezeichnet man korrekter Weise nur das Stadtviertel nördlich der Rechtsstadt rund um den Kanal Raduni, das wir uns nun ansehen werden.
Stare Miasto – die Altstadt
Als erstes passieren wir die Brigittenkirche, Kościół Św. Brygidy, die heute vor allem dafür bekannt, dass Sie als Treffpunkt der Solidarność Gruppe diente – einer polnischen Gewerkschaft, die 1980 aus einer Streikbewegung heraus entstand, und an der politischen Wende 1989 entscheidend mitwirkte. Wie auch ihre direkte Nachbarin, die Katharinenkirche musste auch die Brigittenkirche nach 1945 komplett neu aufgebaut werden.
Die Katharinenkirche oder auch Kościół św. Katarzyny ist die älteste Kirche der Stadt. Ihr roter Backsteinbau entstand bereits im 12. Jahrhundert, wurde jedoch in den folgenden Jahrhunderten mehrfach vergrößert und umgebaut.
Folgt man den Kanal Raduni weiter nach Westen, kommt man an der große Mühle vorbei. Die mit 18 Rädern einst zu den größten Mühlen Europas zählende Backsteinmühle wurde im 14. Jahrhundert von den Ordensrittern errichtet. Heute beherbergt sie ein Einkaufszentrum mit zahlreiche Cafés und Shops.
Wieder ein Stück weiter findet man das altstädtische Rathaus vor, das in seiner Ausgestaltung lange nicht mit seinem Rechtstädtischen Pondon mithalten kann. Heute beherbergt es das baltische Kulturzentrum, in dessen Obergeschoss häufig Konzerte stattfinden.
Die Markthalle: im Essenshimmel
Zurück geht es an der Katharinenkirche vorbei zur Markthalle, die für mich einer der Highlights Danzig überhaupt war. Nicht nur weil ich so unglaublich verfressen bin, alles probieren möchte und es liebe mir die einzelnen Stände mit teilweise bekannten und teilweise unbekannten Produkten anzusehen, sondern auch, weil sich nirgendwo sonst so viel Danziger Leben abspielt, wie in Mitten des Markthallengedrängels. Hier könnte ich mich Stunden aufhalten, mich durch das Angebot futtern und die Danziger bei ihrem täglichen Einkauf beobachten.
Ich würde zusehen, wie der Fleischer Dinge verarbeitet, von denen ich gar nicht so genau wissen möchte, was es ist…
…oder rätseln, was sich wohl in den einzelnen Konserven so befindet…
…oder die kunstvoll verzierten Törtchen und Plätzlich anhimmeln, die mir duftend entgegenrufen: „Iss mich!“
Aber da auch mein Magen nur ein bestimmtes Fassungsvermögen hat, begnügen wir uns mit dem Kauf einiger Leckereien für das anschließende Mittagessen im Apartment.
Durch das Goldene Tor gelangen wir zurück in die Lange Gasse. Seinen Namen verdankt es den überaus kunstvollen Verzierungen an seiner Fassade.
Der hohe Turm, der hinter dem Tor hervorblitzt ist übrigens der Stockturm, der einst als Gefängnis der Stadt diente und heute das Bernsteinmuseum beherbergt. Aber wer möchte schon ins Museum, wenn lauter duftende Gegenstände vom Markt auf ihre Bestimmung warten…
Was ich in Danzig gelernt habe
- Danzig ist eine wunderbare Stadt und eines meiner Highlights Polens.
- Manchmal muss man Zentralität auch mit Schlafmangel erkaufen. Partys scheinen in Danzig bis zum Morgengrauen und darüber hinaus zu dauern.
- Im Winter schließen alle Museen gegen 15 Uhr. Als wir nämlich nach unserer Mittagspause aka Marktessensorgie noch einmal ein paar Museen abklappern wollte, hatte alles schon zu.
- Im historischen Stadtkern gibt es so gut wie keine Shoppingmöglichkeiten.
- Im Winter kann man (das gilt aber für ganz Polen) auf keinen einzigen Turm steigen. Das war besonders für mich als Ausblickliebhaber sehr schade. Ab April/Mai jedoch öffnen auch hier die Türme wieder ihre Pforten.
- Wer die Stadt wie ein Einheimischer erkunden möchte, sollte sich statt eines Hotels lieber ein Apartment mieten. Aber das gilt ja generell für jede Stadt…
- Lebensmittel sind in den kleinen 24-Stunden-Lädchen teilweise günstiger als in größeren Supermärkten.
Wie hat euch Danzig gefallen? Ward ihr selbst schon mal dort, vielleicht sogar im Sommer (mich würde interessieren ob es da tatsächlich voller und touristischer ist)? Wohnt ihr auf Reisen auch gerne in Apartments (und das nicht nur wegen des Preises)?
Super schöne Bilder! :-)
In Danzig war ich auch schon (vor meiner Reisebloggerzeit), allerdings ebenfalls im Winter. Es lag zwar kein Schnee, aber es war genau so ein kalter, aber klarer Tag wie bei dir. Friert man sich zwar alles ab, aber umso schöner für die Fotos. ;-)
Genächtigt hatte ich in einem Hostel 15 Gehminuten von der Altstadt entfernt. War zwar ruhig, dafür sah die Umgebung aber bei weitem nicht mehr so schön aus …
LG, Chris
Dankeschööön!!! Ja der Himmel strahlt selten so blau wie an einem kalten Wintertag ;-) Liebe Grüße, Jana
Ach Jana, immer wenn ich deinen Posts lese will ich auch umbedingt dahin fahren ;) Ich glaube mein Freund ist schon ganz gernervt ^^ Wieder mal ein toller Post, zu einer tollen Stadt.
Ich war selber noch nie in Polen und hätte es wirklich nicht so schön erwartet.
Vielen vielen Dank dafür, dass du deinen Lesern immer so tolle Reiseinspirationen schenkst.
Viele Grüße
Jenny
Oh du bist ja ein Schatz :-* Ich kenn das, mein Freund ist auch oft genervt von meiner Reisesucht :-D
Hey Jana!
Teilweise haben wir die gleichen Motive – bei mir nur im Sommer!
Danzig ist der Hammer, definitiv einen (oder mehrere) Besuch(e) wert :)
Hier meine Liebeserklärung an das wunderschöne Gdansk:
http://generationmehr.de/geheimtipp-polen-9-gruende-warum-danzig/
LG Hendrik
Hi meine liebe,
ich freue mich das Danzig – mein Stadt – gefehlt euch so sehr.
ich Grüße euch alle
Ja, Danzig ist toll. Danke für die Fotos und den Bericht. Einkaufen kann man in der Innenstadt so gut wie kaum. Dafür stehen in den Außenbezirken riesige Einkaufszentren französischer Handelskonzerne. Leider charmefrei.