Es sind nur 500 Höhenmeter. 500 Höhenmeter, die mich von meinen ersten 5.000er trennen. 500 Höhenmeter, die nichts und doch alles sind. Die schwersten 500 Höhenmeter meines Lebens.
Ich weiß noch genau, wie ich als Kind zusammen mit meinem Papa Bergdokumentationen angesehen habe. Seit dem wollte ich auf den Mount Everest. Oder zumindest aufs Matterhorn. Oder wenigstens beim nächsten Wanderurlaub in den Alpen auf meinen ersten 3.000er. Ich war völlig fasziniert, wie die Bergsteiger Schnee und Eis sowie der Höhenkrankheit trotzen um schließlich glücklich und erschöpft am Gipfel anzukommen.
Tatsächlich habe ich es gerade mal auf einen 3.000er geschafft und war noch nicht einmal auf der Zugspitze. Doch die Bergdokumentationen üben weiterhin eine magische Anziehungskraft auf mich aus.
Ein Traum wird wahr
Als ich erfuhr, dass es in der Atacama-Wüste gleich mehrere der leichtesten 5.000er der Welt zu besteigen gibt, war ich natürlich Feuer und Flamme. Im Kopf sehe ich mich bereits – wie in den Dokus – mit Steigeisen und Eispickel durch Schnee und Eis stapfen. Aber so einfach ist das ganze dann doch nicht.
Was ich schnell lernen musste: Ohne Akklimatisierung, keinen 5.000er. Für mich bedeutet das 5 Tage gezieltes Höhentraining bis ich an Tag 6 endlich auf den Toco Vulkan darf, der mit seinen 5.604 Metern der leichteste 5.000er in der Atacama ist. Wenn alles gut läuft, das Wetter mitspielt und ich bis dato unter keine Höhenkrankheit leide. Ganz schön viele Wenns für meinen Geschmack. Trotzdem hat mich die Abenteuerlust gepackt und so plane ich meine 5 Tage in San Pedro de Atacama alleine mit dem Ziel, meinen Körper an die Höhe zu gewöhnen und mich fit für die Gipfeltour meines Lebens zu machen. Wie gut, dass sich die Akklimatisierung mit vielen Highlights in der Gegend kombinieren lässt – aber dazu ein anderes Mal mehr…
Es wird ernst
Alles läuft gut, mein Körper verträgt die Höhe mit jedem Tag besser und die Stunde der Wahrheit rückt langsam näher. Dann der Rückschlag: Aufgrund von unwetterartigen Regenfällen (ja in der trockensten Gegend der Erde) sind die Passstraßen gesperrt und unsere für den nächsten Tag geplante Akklimatisierungstour zu den El Tatio-Geysiren auf über 4.000 Metern fällt buchstäblich ins Wasser. Auch die Passstraße zum Toco Vulkan ist für den nächsten Morgen gesperrt.
Glücklicherweise findet sich schnell eine Alternative für eine Eingewöhnungstour auf 4.000 Metern und die Hoffnung, dass die Passstraße an dem folgenden Tag wieder freigegeben wird, stirbt ja bekanntlich zuletzt. So auch in diesem Fall, denn trotz erfolgreicher Tour, bleibt die Passstraße Richtung Bolivien und somit mein Anfahrtweg zum Toco Vulkan geschlossen. Ich weiß nicht ob es die Entschlossenheit und Enttäuschung in meinem Blick ist, aber schließlich finden wir doch noch eine Alternative. Mit Gustavo, dem besten Guide der Stadt, soll ich am nächsten Tag den Aufstieg über die Nordseite des Berges versuchen – mit 1.000 zu überwindenden Höhenmetern und ohne Weg eine nicht ganz einfache Angelegenheit. Und der Schnee, der es nun bereits in Höhen unter 4.000 Metern geschafft hat, eine ziemlich ungemütliche noch dazu.
Klappt es, klappt es nicht?!
In der Nacht vor der Tour mache ich kaum ein Auge zu. Meine Gedanken kreisen immer wieder um die vor mir liegende Tour. Hatte ich mir zu viel vorgenommen? Wird das Wetter halten? Reicht meine Kleidung, die natürlich nicht für eine Schneewanderung ausgelegt ist? Noch vor dem Weckerklingeln ziehe ich all meine Kleidungsstücke übereinander, die mein Rucksack so hergibt und mache mich auf den Weg mich mit Gustavo zu treffen. Ich bin die Einzige, die um diese frühe Urzeit bereits im Alto Atacama auf den Beinen ist. Es kommt nun auch nicht so oft vor, dass die Gäste nach einer Vulkanbesteigung fragen. Als Gustavo mich sieht, ist er sichtlich erleichtert. „Du siehst sportlich aus!“, stellt er fest. Auch wenn mich das eigentlich erleichtern sollte, erinnert es mich statt dessen nur daran, wie hart die kommenden Stunden wohl für mich werden. Gemeinsam verstauen wir das Equipment und fahren los.
Wir lassen es auf einen Versuch ankommen und fahren zunächst zur Passstraße, an deren Beginn sich bereits die LKW stauen. Wir fragen die Polizeibeamten und bekommen gute Nachrichten: Bereits um 9 Uhr soll die Straße wieder geöffnet werden und wir können unsere Mission wie geplant starten. Was für eine Erleichterung! Noch dazu kommt die Sonne nun hinter den Andengipfeln hervor und es verspricht ein guter Tag zu werden.
Mit nur einer Stunde Verspätung können wir die Fahrt zu unserem Startpunkt fortsetzen. Ein paar erste Wolken haben sich bereits aufgetürmt. „Das wird heute noch was geben“, meint Gustavo. „Hoffentlich sind wir dann schon wieder unten“, denke ich. Immer höher und höher geht die Fahrt bis wir schließlich die Schneegrenze erreichen, die auch Grund der Straßensperrung am Morgen war. Erst wenn die Straße geräumt und sicher ist, wird der Verkehr hier freigegeben. Da gibt es keine Ausnahmen. Wir passieren ein Observatorium (dem wir auch die gute Zufahrtsstraße verdanken) und dann sind wir schließlich da, an unserem Ausgangspunkt, auf knapp 5.000 Metern Höhe. So hoch war ich noch nie zuvor in meinem Leben.
Als ich aus dem Auto aussteige, erwartet mich die erste Überraschung. Hatte man mich am Vorabend noch vor Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt gewarnt, warten hier oben warme 15 Grad und Sonnenschein auf mich. Schnell entledige ich mich einiger meiner Kleidungsschichten, bevor wir uns langsam und stetig in Bewegung setzen.
500 Meter
500 Meter sind ja eigentlich nicht viel. Eigentlich sogar so wenig, dass mir das ganze am Anfang ziemlich luschig erschien. 500 Meter – was ist das schon? Aber schon bald merke ich, wie falsch ich lag. Dann nämlich, als ich mich vor Schwindel und Tunnelblick erst einmal für ein paar Minuten in den Schnee hocken muss – Höhentraining hin oder her. Zum ersten Mal kommt mir in den Sinn, dass diese Mission an MIR scheitern könnte. Ich hatte mich eigentlich immer für fit gehalten, doch hier und jetzt komme ich an meine Grenzen. Bevor es weiter geht, macht Gustavo ein paar Atemübungen mit mir. Wir seien am Anfang auch sehr schnell losgegangen, versucht er mich zu beruhigen, und hätten auch schon ein gutes Stück des Weges geschafft.
Ab jetzt geht es noch langsamer voran. Ein Schritt, einatmen, ein Schritt, ausatmen. Was sich anfühlt wie Schneckentempo tut meinem Kreislauf gut. Ich fühle mit jedem Atemzug, wie ich mehr und mehr Kraft schöpfe. Uns kommt ein Bergführer mit einer seiner Kunden entgegen. Sie musste auf Grund von unerträglichen Kopfschmerzen aufgeben, verrät sie mir, während sich die beiden Experten unterhalten. Es geht um eine Gruppe Wanderer, die ohne Führer an diesem Morgen den Aufstieg zum Gipfel wagen. Eine unverantwortliche Aktion, die zwar oft gut geht, aber was ist, wenn mal nicht alles optimal läuft? Deshalb geht Gustavo nie ohne Atemgerät auf so eine Expedition, hat ein umfangreiches Sicherheitstraining durchlaufen und weiß genau was im Ernstfall zu tun ist. Ohne Führer gefährdet die Gruppe sich und andere, die am Berg unterwegs sind.
Dann plötzlich legt Gustavo vor mir einen Schritt zu. Wie er mir geraten hat, behalte ich mein Tempo bei, wundere mich aber trotzdem über den abrupten Tempowechsel. Als ich wieder näher komme, klärt er mich auf. Die Wolken, die von Nordosten gefährlich näher kommen, könnten unsere Gipfelmission noch jetzt, wenige Meter vor dem Ziel, gefährden. Die Aussicht jetzt noch zu scheitern mobilisiert in mir alle Kraftreserven. Fast im doppelten Tempo geht es die letzten Meter dem Gipfel entgegen, bis ich schließlich das improvisierte Gipfel“kreuz“ erreiche. Eine Gänsehaut macht sich breit. Ich habe es geschafft. Hier oben in der dünnen Luft scheint sich auch das Glücksgefühl am Gipfel zu potenzieren. Ich bin außer mir vor Freude. Auch was das Wetter angeht, gibt Gustavo Entwarnung. Auch wenn die Wolken noch zu sehen sind, haben sie sich in der letzten halben Stunde kaum bewegt. Und so genehmigen wir uns eine kurze Pause um das Gefühl und die Aussicht zu genießen.
All zu lange hält die Euphorie allerdings nicht, denn nur ein paar Minuten später ziehen dicke Wolken über die Spitze und wir entscheiden uns zum Abstieg. Falls ein Gewitter aufziehen sollte, wollen wir wenigstens nicht mehr am höchsten Punkt des Berges sein.
Der Rückweg verläuft zügig, schweigsam und querfeldein um möglichst schnell aus dem Gefahrenbereich zu gelangen. Nach etwa der Hälfte des Weges drosselt Gustavo sein Tempo. Der Himmel sieht wieder klar aus und von Gewitter ist keine Spur – Zeit also um die letzten Meter bis zum Ausgangspunkt zu genießen.
Ehe ich mich versehe, sind wir auch schon am Auto angekommen. Was mir auf dem Hinweg so unfassbar lang und mühsam vorkam, ist auf dem Rückweg ein Klacks. Erst im Auto auf der Rückfahrt zum Hotel kann ich so richtig realisieren, was da gerade passiert ist. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht nippe ich an meinem Radler, mit dem Gustavo und ich auf den bezwungenen Gipfel angestoßen haben. Und dann meldet sich auch mein Hunger, den inzwischen ist es bereits Nachmittag und vor lauter Anspannung und Adrenalin hatte ich das Essen völlig vergessen. Als wir den Licancabur Vulkan mit seinen stattlichen 5920 Metern passieren, mache ich insgeheim schon Pläne für meinen nächsten Atacama-Besuch. Denn einmal vom Bergsteigerfiber gepackt, lässt es einen nicht mehr los…
Besteigung des Cerro Toco: Infos & Tipps
Der Toco Vulkan ist der leichteste 5.000er in den Anden der Atacama und lässt sich auch ohne langes Training besteigen – vorausgesetzt man bringt ein bisschen Kondition und Trittsicherheit mit. Ohne mindestens 4-5 Tage Akklimation geht es natürlich trotzdem nicht, in denen man sich langsam von 2.700 Metern an die 5.000 Meter heran tastet. Ganz wichtig: Egal wie technisch einfach der Weg auch sein mag, ein 5.000er ist niemals leicht. Die Höhe hab auch ich maßlos unterschätzt – immerhin liegt der Gipfel höher als das Mount Everest Base Camp!!! Auf eigene Faust und ohne Führer sollte man definitiv niemals losziehen – egal wie bergerprobt man auch ist.
Gustavo kann man übrigens auch direkt buchen, wenn man nicht im Alto Atacama unterkommt, und zwar unter gustavobustamante(at)gmail.com. Bestellt ihm einen schönen Gruß von mir!
Mein Aufenthalt in der Atacama-Wüste sowie meine Bergtour auf den Toco Vulkan wurde vom Alto Atacama Desert Lodge & Spa unterstützt. Meine Meinung ist und bleibt dennoch wie immer meine eigene.
Was war dein atem(be)raubendstes Bergerlebnis? Verrate es mir in den Kommentaren!
Wow, tolle Bilder!! Ich war noch nie so weit oben und kann mir gar nicht so richtig vorstellen, wie das sein soll. Vielleicht erfahre ich es ja irgendwann, Lust macht dein Artikel ja schon :)
Liebe Grüße
Christina
Hallo Jana,
da ich regelmäßig bei dir lese, wollte ich mal ein Lebenszeichen hinterlassen :)
Der Bericht ist super und die Fotos echt beeindruckend!
Die Wolken hätte ich auch nicht gerne um mich herum, wenn ich einen Gipfel besteigen würde… Sieht ziemlich nach Sturm, Regen/Schnee und Gewitter aus.
Lieben Gruß
Linda
Gratulation! Super! Ich konnte ziemlich mitfühlen, wie es Dir erging. Auf dem ecuadorianischen Cotopaxi musste ich auch „nur“ 1300 m überwinden und ich dachte, das kann ja nicht so schwer sein. Aber ab 5000 m merkt man, dass man nicht gegen den bloßen Weg ankämpft. Bei mir war es die enorme Müdigkeit, die mich immer wieder fast ausknockte. Nach dem Aufstieg sah ich den über 6000 m hohen Chimborazo und dachte auch, na wie wär’s mit dem? LG, Mad
Bravo! Ich glaube, als „Flachlandtiroler“ macht man sich wirklich nicht bewusst, was Höhenluft bedeutet! Ich finde, es ist eine ziemliche Leistung, einen Berg (auch ohne Spitzhacke und Seilen!) zu erklimmen. Es ist lange her, dass ich in den Anden unterwegs war, aber ich kann mich gut an mein Herzrasen erinnern : ) Klasse gemacht, Grüße, Jutta.
Liebe Jana aber mehr wie stolz … dicke Gratulation. Beeindruckender Artikel und tolle Fotomomente. Ich glaube genau dies sind die Dinge, die uns der einmaligen Natur auf unserem schönen Planeten immer ein Stück näher bringen und wo wir sehr viel Demut lernen.
Schön das Du die Momente erleben konntest.
Liebe Grüsse sendet Daniela
Glückwunsch zu deinem 5.000er :-) Sehr schöne Bilder.
Und wie das so ist – jetzt will ich auch ;-)
LG Manu
PS: Ich war übrigens auch noch nie auf der Zugspitze. Eigentlich kaum zu fassen, wenn man daran denkt wie oft ich daran vorbeifahre ;-)
das hört sich nach einem tollen Erlebnis an :)
ich bin eigentlich überhaupt nicht der typ fürs wandern und fürs bergsteigen erst recht nicht und bin schon bei kleinen wanderungen mit anstieg schnell aus der puste, aber bei deinen tollen berichten bekomme selbst ich richtig lust darauf, also fange ich mal lieber an ein bischen öfter als 1-2 mal pro jahr auf kleine berge zu kraxeln
lg
Wow, ich gratulierte und ziehe den Hut! Ich wär da auf keinen Fall fit genug für.
Sonnige Grüße
Jessi
Oh ja, du sprichst mir aus der Seele! 500 Höhenmeter sind nicht gleich 500 Höhenmeter! Das musste ich letztes Jahr auch schmerzlich erlernen :D Ein toller Bericht der wieder richtig Lust aufs wandern macht!
Danke sehr und liebe Grüße aus dem schönen Arnsberg,
Chris
Wahnsinn! Wow, ich bin echt begeistert! :))…Ich bin momentan auch im Urlaub in den Bergen, allerdings in Südtirol^^…ich habe von meinem hotel panorama schenna …ich sehe wirklich so gut wie alles auf den Bergen, aber jetzt wirklich auf den Gletscher zu wandern habe ich noch nicht gewagt^^….unsere Touren waren jetzt mehr so in „Talnähe“ :O…aber wir werden auf jedefall noch mit der Gondel nach ganz oben fahren :D…ich glaube zu Fuß ist das noch nichts für uns^^…Aber wie gesagt, ich bin gebeistert von deinen Fotos! Vielen Dank und LG, Nora
Hallo liebe Jana,
Ich hab deinen Bericht schon vor langer Zeit gelesen und bin jetzt ab nächster Woche tatsächlich ca anderthalb Wochen in San Pedro und würde mich gerne an den Toco heranwagen. War die letzten Wochen in Peru und Bolivien bis auf 4400 Meter unterwegs und nehme die Salar de Uyuni mit. Meinst du seine Adresse ist aktuell? Kann er Englisch? Und bis auf welche Höhe bist du bei deinem Höhentraining gekommen?
Liebe Grüße,
Kyra
Ja der Cerro Toco ist wohl der einfachste 5000er in den Anden. Obwohl ich ziemlich höhenresistent bin, eine gute Akklimatisierung ist unbedingt notwendig. Ich bin mit meinem Führer die Direttissima einfach senkrecht die Schneerinne hoch gegangen, nach 61min waren wir an Ziel. Der Abstieg war dann Spass vom Feinsten, eine Mischung aus Rennen und Rutschen! Wenn die Schneeverhältnisse gut sind, wäre es auch eine phantastische Schiabfahrt! Das hat mein Führer zwar noch nicht gesehen, aber 2 Tage vorher sind zwei „Verrückte“ mit dem MTB die Normalroute rauf gefahren und die Schneerinne runter. Da kam schon ein bisschen Neid bei mir auf! Vielleicht beim nächsten Mal, auf jeden Fall werde ich meine Figl mitbringen!